Widerrede, zweiter Teil
Vor einigen Tagen habe ich eine Reihe von Fehlern in der „Laudatio“ von Thilo Weichert auf die Firma Ancestry moniert. In seiner Gegendarstellung kritisiert Weichert, dass ich nicht auf sein ausführlicheres „Gutachten“ in gleicher Sache eingegangen sei. Eine fachjuristische Beurteilung der Datenschutzbestimmungen, der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder der Einwilligungserklärung für AncestryDNA liegt nicht in meiner Kompetenz, so dass ich ausdrücklich nicht ausschließe, dass diese umfangreichen Texte inhaltlich heikle, juristisch fragwürdige oder für den Nutzer nachteilige Bestimmungen enthalten könnten. Wohl aber kann ich auch in dem Gutachten einige Punkte nennen, die sachlich nicht richtig oder in ihrer Wertung nicht nachvollziehbar erscheinen.
Zu Abschnitt 1: Die Firma Ancestry wird vorgestellt als ein im Jahr 1983 gegründeter Verlag, der im Jahr 2002 „mit seinem genetischen Angebot“ begonnen habe. Es findet hier zunächst keine Erwähnung, dass Ancestry vor allem historische Quellen digitalisiert und indiziert und im Rahmen von Abonnements für seine Nutzer zugänglich macht. An verschiedenen Stellen sowohl in der „Laudatio“ als auch im „Gutachten“ entsteht der Eindruck, als sei Weichert die Unterscheidung von Ancestry und AncestryDNA nicht bewusst, etwa dann, wenn Nutzungsbedingungen, die sich offensichtlich auf die Nutzung von digitalisierten Quellen beziehen, falsch auf den Umgang mit den Ergebnissen und Rohdaten der DNA-Analyse bezogen werden, oder bei dem Vorwurf irreführender Werbung.
Erst im Zusammenhang mit der Beschreibung des DNA-Matchings (der Begriff selbst fällt nicht) wird behauptet:
Verwandtschaftsbeziehungen zu anderen Kunden sowie biogeografische Zuordnungen werden dadurch erkundet, dass die individuellen Analyseergebnisse mit denen anderer KundInnen bzw. mit für bestimmte biogeografische Herkünfte typischen DNASequenzen auf Übereinstimmungen hin untersucht werden. Gemäß Unternehmensangaben werden für eine Qualifizierung der Auskünfte viele weitere Dokumente aus der Ahnenforschung herangezogen. Es würden den Nutzenden 20 Mrd. Dokumente der Ahnenforschung zur Verfügung gestellt, die weitgehend auf die Bereitstellung bisheriger KundInnen zurückgehen. Mitgliedern von Ancestry International Deluxe erhalten die Möglichkeit des Online-Abrufs auf diese Dokumente (Blog Rn. 4, 8). Dazu gehören auch „derzeit über 500 Millionen deutschsprachige Dokumente“.
https://www.netzwerk-datenschutzexpertise.de/sites/default/files/gut_2018_ancestry.pdf
Die Darstellung ist falsch, dass die von Ancestry digitalisierten historischen Quellen „für eine Qualifizierung der Auskünfte“ im Zusammenhang mit der DNA-Analyse verwendet würden. Offensichtlich fehlt es hier an Kenntnissen, wie das DNA-Matching funktioniert – sicherlich nicht durch einen Abgleich mit digitalisierten historischen Quellen, denn wie sollte ein Bezug von DNA-Daten zu Schriftquellen erfolgen?
Genauso falsch ist die Behauptung, dass die von Ancestry angeboteten Digitalisate „weitgehend auf die Bereitstellung bisheriger KundInnen zurückgehen“ – es handelt sich um Digitalisierungen, die Ancestry in Zusammenarbeit mit Archiven, Unternehmen und Einrichtungen weltweit vornimmt. Dies kann man leicht auf der Homepage von Ancestry nachlesen. Auch erhalten nicht nur „Mitglieder von Ancestry International Deluxe“ Zugang zu den Digitalisaten, sondern es gibt verschiedene Abonnements unterschiedlichen Umfangs. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wie es zu so einer Falschdarstellung kommen kann.
Zu Abschnitt 3.4.1: Weichert diskutiert hier, ob Ancestry sich auf das Forschungsprivileg berufen kann, und verneint dies. Meiner Ansicht nach fehlt in der Diskussion ein zentraler Gesichtspunkt: Es ist nicht (nur) Ancestry, das Forschung betreibt (entsprechende wissenschaftliche White Papers lassen sich auf der Homepage von Ancestry aufrufen), sondern es sind die einzelnen Nutzer, die selbst forschend tätig sind – entweder unter Nutzung der von Ancestry bereitgestellten Digitalisate, sei es durch die Auswertung ihrer von Ancestry bereitgestellten DNA-Daten und der damit verbundenen Daten und Informationen aus dem Matching. Insofern scheint mir Ancestry (auch) ein Dienstleister für die je individuelle Forschung zu sein.
Sachlich falsch ist folgende Behauptung:
Den Betroffenen wird verboten, selbst die eigenen Ergebnisse einem öffentlichen wissenschaftlichen Diskurs auszusetzen (AGB Rn. 16).
https://www.netzwerk-datenschutzexpertise.de/sites/default/files/gut_2018_ancestry.pdf
Weichert bezieht sich hier auf den Abschnitt 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, dies den Nutzer verpflichten,
die Dienstleistungen nicht weiterzuverkaufen bzw. keinerlei im Rahmen der Dienstleistungen ausfindig gemachte Inhalte oder Informationen weiterzuverkaufen, zu reproduzieren oder zu veröffentlichen, außer dies ist ausdrücklich in diesen Bedingungen beschrieben.
https://www.ancestry.de/cs/legal/termsandconditions
Liest man diesen Abschnitt im Kontext und nicht isoliert, stellt man sehr leicht fest, dass Ancestry in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterscheidet zwischen „Dienstleistungen“ (die nicht weiterverkauft, reproduziert oder veröffentlicht werden dürfen, Abschnitt 2) und „Inhalten“ (Abschnitt 5). Im englischen Original lautet die Unterscheidung „Services“ vs. „Content“. Unter „Dienstleistungen“ bzw. „Services“ sind offensichtlich die technischen Einrichtungen der Homepage in ihrer Gesamtheit verstanden, die der Kunde bzw. Abonnent nutzen, aber logischerweise nicht weiterverkaufen kann; mit „Inhalten“ sind hingegen die Digitalisate, Datenbankinhalte etc. gemeint, die eigentlichen Informationen.
Diese Inhalte dürfen gemäß Abschnitt 5 sowohl für die „persönliche Nutzung“ als auch kommerziell für „Ihre berufsmäßige Familienforschung“ benutzt und ausdrücklich auch heruntergeladen werden. Die weiteren Ausführungen in Abschnitt 5 beziehen sich auf Fragen des Urheberrechts, auf Quellenangaben und auf die von Nutzern selbst hochgeladenen Informationen.
Was die Nutzung der DNA-Daten angeht, so stellt Ancestry selbst die Rohdaten den Nutzern zum Download bereit und schafft so erst die Voraussetzungen für eine anderweitige Nutzung. Ancestry weist auch auf die Möglichkeit zur anderweitigen Nutzung hin und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass dann Ancestry für die Datensicherheit nicht mehr verantwortlich ist.
Die Behauptung, Forschungsergebnisse unter Nutzung von Ancestry dürften nicht veröffentlicht werden, kann nur als absurd bezeichnet werden (oder als „Fakenews“). Es stellt sich durchaus die Frage, wie es zu einer solchen Falschdarstellung kommen kann.
Alle Abschnitte in dem Gutachten, die sich darauf beziehen, dass Ancestry für sich kein Forschungsprivileg beanspruchen könne, scheinen mir wegen der unzutreffenden Darstellung in ihrem Argumentationszusammenhang hinfällig zu sein bzw. müssten zumindest überprüft werden.
Zu Abschnitt 3.11: Weichert behauptet, es sei
Polizeibehörden unter einer vorgetäuschten Identität einer natürlichen Person möglich, Speichel eines Spurenlegers einzusenden, um so dessen Identität über mögliche Verwandte festzustellen.
https://www.netzwerk-datenschutzexpertise.de/sites/default/files/gut_2018_ancestry.pdf
Grundsätzlich ist es richtig, dass zumindest in den USA Strafverfolgungsbehörden seit 2018 auf genealogische Datenbanken zugreifen, um unbekannte Tote oder unbekannte Straftäter zu identifizieren; genutzt wurde dazu vor allem die Datenbank von Gedmatch.com, die aber in keinem Verhältnis mit Ancestry steht. Die Behauptung, die Polizei könne „Speichel eines Spurenlegers“ zu Ancestry einsenden, ist nicht nachvollziehbar. Vermutlich weiß Weichert nicht, dass für einen DNA-Test bei Ancestry eine kleine Phiole mit einer nicht ganz unbeträchtlichen Menge von Speichel gefüllt werden muss, so dass manche Nutzer sogar Schwierigkeiten haben, ausreichend viel Speichel zu produzieren. Man kann sich eigentlich keine Situation vorstellen, in der ein Straftäter ein kleines Gefäß mit Speichel an einem Tatort zurücklässt, der dann in die Phiole von Ancestry gefüllt werden könnte. Zumindest in Bezug auf Ancestry ist die Aussage in dem Gutachten also falsch.
Diese Anmerkungen mögen genügen, um zu zeigen, dass auch das „Gutachten“ außerordentlich kritisch zu lesen und in allen Behauptungen und dann auch allen Schlussfolgerungen und daraus abgeleiteten Forderungen zu hinterfragen ist.
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