Der „schwarze“ Beethoven, identitätspolitische Absurditäten, historische Ignoranz
Nachtrag am 22.3.2023: Die DNA Beethovens ist nun entschlüsselt; dazu ein Beitrag in „Current Biology“. Allerdings keine Spur eines afrikanischstämmigen Beethoven.
Der Text von 2021:
Seit ein paar Wochen berichten die Gazetten landauf und landab, online wie offline über die Forderung des Sängers und Schauspielers Roberto Blanco, der Wiener Bürgermeister solle einer Öffnung von Beethovens Grab zustimmen, um mithilfe einer DNA-Probe aus den sterblichen Überresten des Komponisten dessen afrikanische Herkunft zu „beweisen“. Er sei sich sicher, so der Sänger kubanischer Herkunft, dass Beethoven ihm ähnlicher gesehen habe als dem heutigen Wiener Bürgermeister (NZZ, Welt, Focus und so weiter). Mittlerweise verbreitet er sogar die Idee, „dass Beethoven aus Äthiopien stammt“ (hier).
Viele Gazetten übernehmen dankbar jede noch so absurde These, ohne sie auf historisch-sachliche Plausibilität zu überprüfen, insbesondere wenn sie zu den identitätspolitischen Narrativen passt, die seit einiger Zeit en vogue sind. Dabei wird geflissentlich ignoriert, dass auch in der Geschichtswissenschaft nicht alle Tatsachenbehauptungen im Sinne angeblicher „Neutralität“ gleichwertig sind – und auch dann nicht, wenn diese Tatsachenbehauptungen den gerade aktuellen Vorurteilen und Wünschen entsprechen -, sondern dass alle Aussagen an den überlieferten historischen Quellen zu messen sind, dass im Zweifelsfall das Vetorecht der Quellen gilt und selbstverständlich auch Ockhams Rasiermesser zum Einsatz kommen kann und muss, um plausiblere von weniger plausiblen und abwegigen Theorien zu unterscheiden. Offensichtlich muss man aber heute dezidiert darauf hinweisen, dass einfache historische Tatsachen keine Glaubensfragen sind (das österreichische Magazin „Heute“ fragt seine Leser: „Glaubst Du, dass Beethoven schwarz war?“), dass hier auch keine „Vorstellungen, Vorurteile, Ängste und Abwehrreaktionen“ eine Rolle spielen, wie ein Berliner Filmemacher auf Facebook behauptet, und dass die Frage nach geschichtlichen Fakten auch nicht durch Mehrheitsentscheidungen im Internet entschieden werden (siehe die Umfrage bei „Heute“). Hier zählen immer und ausschließlich historische Quellen und Belege – und wo diese fehlen, kann man allenfalls aufgrund der historischen Wahrscheinlichkeit im Rahmen dessen, was über die Vergangenheit bekannt ist, begründete Vermutungen anstellen.
Dabei ist die Behauptung einer afrikanischen Herkunft Beethovens nicht neu: Bereits 1907 meinte der Komponist Samuel Coleridge-Taylor – dessen Vater aus Sierra Leone stammte -, eine Ähnlichkeit zwischen Beethoven und ihm zu sehen – so wie heute Roberto Blanco meint, ähnlich auszusehen wie Beethoven. 1944 versuchte dann der aus Jamaica stammende Journalist und „amateur historian“ Joel A. Rogers in seinem Werk „Sex and Race“, die angeblich verheimlichte afrikanische Herkunft Beethovens „wissenschaftlich“ zu erklären (zur Geschichte der Idee eines schwarzen Beethoven und der Funktion dieser Behauptung für identitätspolitische Aktivisten siehe ausführlich das VAN-Magazin und den Guardian). Zwei Jahrzehnte später behauptete dann der amerikanische Bürgerrechtler und Aktivist Malcom X, Beethovens Vater sei ein farbiger Söldner gewesen („one of the blackamoors that hired themselves out in Europe as professional soldiers“) – und wo er schon dabei war, behauptete er flugs auch von Haydn, dieser sei schwarz gewesen. Stokely Carmichael verstieg sich zu der Behauptung: „Beethoven was black. They won’t tell you that in school. He was a Spanish Moor – black as you and I.“
Die Verfechter der Auffassung, eine solche afrikanische Herkunft Beethovens behaupten oder sie zumindest für möglich, erwägens- oder überprüfenswert halten, berufen sich im Wesentlichen auf drei Argumente:
a) Anlässlich der Umbettung von Beethovens sterblichen Überresten im Jahr 1888 wurde der im Grab gefundene Schädel als ein „Mulattenschädel“ klassifiziert. Abgesehen davon, dass es aus heutiger Sicht gleichermaßen fragwürdig erscheint, aus der Schädelform auf einen „Mulatten“, also jemanden mit einem weißen und einem schwarzen Elternteil, zu schließen, als auch sich auf ein Urteil aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert zu verlassen, gibt es die begründete Vermutung, es handele es sich bei dem im Grab gefundenen Schädel gar nicht um Beethovens Schädel. Möglicherweise hat ein morbider Schädelsammler des 19. Jahrhunderts Beethovens tatsächlichen Schädel entwendet und einen fremden Schädel im Grab deponiert. Es gibt vergleichbare Fälle: In Schillers Grab liegt nicht Schillers Schädel – und auch der Schädel Josef Haydns ist aus dem Grab entwendet worden.
b) Ein zweites Argument stammt schon von Joel Rogers: Ein im 19. Jahrhundert weit verbreiteter Kupferstich von Blasius Höfel nach einer Louis Letronne zugeschriebenen Bleistiftzeichnung aus dem Jahr 1814 zeige die dunkle Hautfarbe des Komponisten. Die dunkle Hautfarbe findet sich allerdings nur in dem offensichtlich nachgedunkelten Abdruck bei Rogers (zu finden hier). Schaut man sich Letronnes Bleistiftzeichnung (heute im Besitz der BNF) oder Höfels Stich an, löst sich die angeblich dunkle Hautfarbe in Nichts auf.
c) Als Drittes werden die Erinnerungen des Bonner Bäckermeisters Gottfried Fischer an Beethovens Jugend in Bonn angeführt (im Faksimile hier, in moderner Übertragung hier). In den 1838 verfassten und in den 1850er-Jahren überarbeiteten Erinnerungen schreibt Fischer, Beethoven habe eine „schwarz braune“ Gesichtsfarbe gehabt und sei deswegen als Kind auch „Spagnol“ (Spanier) genannt worden. Auch andere Zeitgenössen beschreiben Beethoven vereinzelt als „dunkel“. Niemand allerdings, weder der Bonner Bäckermeister noch sonst einer der Zeitgenossen Beethovens, äußert sich aber dahingehend, dass Beethoven – in der Sprache der Zeit – ein „Mohr“ gewesen sei oder dass sein Aussehen in irgendeiner Weise einem „Mohren“ auch nur ähnlich gewesen sei. Heutige Identitätspolitiker müssen dementsprechend behaupten, die afrikanische Herkunft Beethovens sei von den Zeitgenossen wie auch von der Nachwelt systematisch verheimlicht worden, Beethoven also entgegen seinem tatsächlichen Aussehen auf Bildern weiß dargestellt, in Texten als weiß beschrieben worden – ein Fall von „whitewashing“ eben. Eine einigermaßen absurde Behauptung; denn alle Zeitgenossen Beethovens müssten sich verschworen haben, alle Hinweise auf die angeblich tatsächliche afrikanische Herkunft und das angeblich afrikanische Aussehens Beethovens systematisch zu unterdrücken und zu verschleiern – und zwar Bewunderer wie Kritiker Beethovens gleichermaßen, Zeitgenossen in Bonn wie in Wien – und das in einer Zeit, in der ja durchaus ein lebhaftes Interesse für das Exotische bestand und über in Europa lebende Farbige sehr wohl berichtet wurde, wie die erhaltenen Quellen zeigen. Schon hier müsste man sich fragen: Wer sollte warum ein Interesse daran gehabt haben, eine solche auffällig fremde Herkunft eines Jungen in Bonn im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu verheimlichen – eines Jungen übrigens, von dem man im Jahr 1775, 1780 oder auch 1785 noch nicht wissen konnte, dass er ein weltberühmter Komponist werden würde.
Der Hinweis auf Beethovens Teint ist vermutlich zum einen vor dem Hintergrund zu sehen, dass zumindest im 18. Jahrhundert noch eine möglichst helle Gesichtsfarbe als aristokratisch und vornehm galt – als Ausweis dessen, nicht in der freien Sonne körperlich arbeiten zu müssen -, zum anderen damit zu erklären, dass Beethoven nach Aussage seiner Zeitgenossen und einer im Jahr 1812 abgenommenen Maske einen starken Bartwuchs hatte und durch Pockennarben im Gesicht gezeichnet war. Solche Narben können – begünstigt durch Sonneneinstrahlung während der Abheilungsphase – stark nachdunkeln und übermäßig pigmentiert sein. Hier liegt also eher ein dermatologisches Problem vor als ein Hinweis auf eine afrikanische Herkunft.
Schließlich verweisen die Gazetten von heute, die zumindest so tun, als ob eine afrikanische Herkunft Beethovens wenigstens überprüfens- und erwägenswert sei, auf die Herkunft von Beethovens Familie aus dem angeblich „seit langem multiethnisch geprägten Flandern“, ohne dann weiter auszuführen, inwiefern dann Flandern „multiethnisch“ geprägt gewesen sei und inwiefern dies Beethovens Vorfahren tangiert hätte.
Da es diese Gazetten offensichtlich schaffen nicht schaffen, historisch Belegtes und Wahrscheinliches von identitätsideologischen Wünschen und fake news zu unterscheiden, müssen an dieser Stelle die Behauptungen überprüft werden.
Beethovens Vorfahren sind bis zur Generation der 16 Ururgroßeltern vollständig bekannt (veröffentlicht durch Theo Molberg hier; die fehlenden Nrr. 20 und 21 hier [entgegen Molbergs Vorsicht scheint die Identität der beiden Sebastian Ball gegeben]). Von diesen 16 Vorfahren der Ururgroßelterngeneration sind sechs im heutigen Belgien geboren (eben in Flandern), zwei (vermutlich) in Bayern, sechs an der Mosel zwischen Trier und Koblenz und zwei in Köln bzw. Deutz.
Als Historiker muss man zunächst davon ausgehen, dass die kirchlichen Geburts-, Heirats- und Sterberegister Quellen einer hohen Zuverlässigkeit und (bis heute!) mit juristischer Beweiskraft sind (etwa um einen Anspruch auf ein Familienstipendium des Kölner Gymnasial- und Stiftungsfonds zu belegen), an denen nicht willkürlich gezweifelt werden kann. Ausgehend von dieser Prämisse, geben diese Quellen keinen Hinweis auf Vorfahren afrikanischer Herkunft zumindest bis in die Generation der Ururgroßeltern.
Natürlich gab es auch in der Frühen Neuzeit vereinzelt Menschen afrikanischer Herkunft in Europa. Häufig, wenn nicht meistens waren Nachkommen ehemaliger Sklaven in den Kolonien in Übersee, die aus unterschiedlichen Gründen und auf unterschiedlichen Wegen nach Europa gekommen sind. Die meisten bekannten und erforschten Beispiele stammen allerdings aus dem 18. Jahrhundert, nicht der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, wo die Lücken in Beethovens Ahnentafel beginnen. Auch sind zumindest im 18. Jahrhundert Menschen afrikanischer Herkunft eher im Umfeld der Fürstenhöfe oder großen Städte zu finden, nicht in Kleinstädten oder Dörfern irgendwo auf dem Land – wenig überraschend, wenn man ansatzweise die sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse der Frühen Neuzeit kennt. All dies macht einen afrikanischstämmigen Vorfahren Beethovens nicht unmöglich, aber eben auch einigermaßen unwahrscheinlich – zumindest in einer Generation, die noch so nahe ist, dass dieser afrikanischstämmige Vorfahre noch ansatzweise Beethovens Aussehen geprägt hätte.
Je weiter man zurückgeht, desto lückenhafter wird zwangsläufig Beethovens Ahnentafel. Die im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts geborenen Urururgroßeltern des Komponisten sind nur noch teilweise bekannt. Dementsprechend kann theoretisch ein afrikanischstämmiger Vorfahre ab der Generation der Urururgroßeltern nicht ausgeschlossen werden – ist aber gleichwohl auch nicht sonderlich wahrscheinlich. Angenommen, ein Urururgroßelternteil Beethovens wäre afrikanischstämmig: Wäre Beethoven dann wirklich „schwarz“ oder hätte er einen „Mulattenschädel“ gehabt, wenn 1/32 oder 1/64 seiner Vorfahren afrikanischer Herkunft gewesen wäre? Die Frage zu stellen, heißt, sie zu beantworten – es sei denn, man wollte einer rassistischen one-drop-rule folgen oder Beethoven eine „invisible blackness“ unterstellen.
War Flandern multiethnisch? Flandern war zwar Teil der spanischen Niederlande, aber entgegen den Behauptungen der Gazetten damit noch lange nicht „multiethnisch geprägt“
in dem Sinne, was man heute darunter verstehen würde – zumindest nicht ganz Flandern. Eine Hafenstadt wie Antwerpen sah natürlich Menschen aller Herren Ländern – vorwiegend allerdings doch aller europäischen Länder und nur vereinzelt der außereuropäischen Länder. Was für Antwerpen galt, traf aber noch lange nicht auf Mechelen, Boortmeerbeek oder Nederokkerzeel zu. Wer hier eine multiethnische Gesellschaft für das 17. Jahrhundert behauptet, projiziert seine Wunschvorstellungen von heute in die Vergangenheit – oder ist hier selbst beweispflichtig. Behauptungen reichen nicht.
Gibt die nähere Familie und Verwandtschaft Beethovens einen Hinweis auf afrikanischstämmige Vorfahren? Wäre Beethoven afrikanischer Abstammung, so müsste dies zwangsläufig auch für (mindestens) ein Elternteil sowie für seine Geschwister gelten. Von Beethovens Großvater väterlicherseits, Ludwig van Beethoven, existiert ein Porträt – und hier gibt es nun keinerlei Hinweis auf eine afrikanische Abstammung, die aus dieser Linie käme. Damit hätte sich ein weiteres Mal das „multiethnische Flandern“ erledigt, ist es doch dieser Großvater, der aus Flandern stammt und als junger Mann nach Bonn gekommen ist.
Von Beethovens Eltern sind leider keine bildlichen Darstellungen erhalten – wohl aber von Beethovens Bruder Nikolaus Johann und von seinem Neffen Karl, dem Sohn seines anderen Bruders Kaspar Anton Karl. Wenig überraschend zeigen auch diese Porträts nicht eine Spur eines Hinweises auf eine afrikanische Herkunft oder afrikanische Vorfahren. Identitätsfanatiker werden nun vielleicht einwenden, sämtliche dieser Porträts seien verfälscht und würden nicht das wirkliche Aussehen der dargestellten Personen überliefern. Allerdings müssten dann auch alle sonstigen biographischen Zeugnisse über diese Personen manipuliert sein. Damit nähern sich entsprechende Behauptungen unaufhaltsam dem Niveau der These vom „erfundenen Mittelalter“ Illigs.
War Beethovens Vater adoptiert, wie in der „Wikipedia“ spekuliert wird? In der Tat fehlt der Taufeintrag für Beethovens Vater Johann van Beethoven, der Ende 1739 oder Anfang 1740 geboren wurde. Aus dem historischen Kontext und den sonstigen Quellen zur Familiengeschichte Beethovens und Musikgeschichte Bonns ist die familiäre Zuordnung von Johann van Beethoven als Sohn des älteren Ludwig van Beethoven klar. Dass in Taufbüchern des 18. Jahrhunderts einzelne Einträge vergessen sind, ist bedauerlich, aber immer wieder zu beobachten. Abgesehen davon, dass es im 18. Jahrhundert noch keine gesetzlichen Regelungen für Adoptionen gab, wäre auch hier derjenige, der eine Adoption behauptet, beweispflichtig. Und selbst wenn man nun annehmen will, Beethovens Großvater hätte Beethovens Vater heimlich adoptiert und dieser habe das Afrikanische in die Familie gebacht – dann hätte sich diese Abstammung außer bei dem Komponisten auch bei seinen Geschwistern zeigen müssen.
War Beethoven vielleicht unehelich? Als letztes bleiben nur mehr drei Möglichkeiten:
a) Der Wiener Komponist Ludwig van Beethoven wäre nicht derjenige, der am 17.12.1770 in St. Remigius in Bonn als Sohn von Johann van Beethoven und Anna Maria Keverich getauft wurde, sondern jemand ganz anderes, der die Identität des Täuflings von 1770 angenommen hat. Diese Möglichkeit scheidet aus, da die zeitgenössischen Zeugnisse die Entwicklung Beethovens von seinen ersten musikalischen Auftritten in Bonn hin zu dem weltbekannten Wiener Komponisten zeigen und auch in Beethovens Wiener Zeit weiter Kontakte nach Bonn bestanden.
b) Beethovens Eltern hätten absichtlich ein fremdes Kind bei der Taufe als ihr eigenes ausgegeben. Hier müsste allerdings erklärt werden: Warum hätten sie das tun sollen? Woher soll dieses Kind gekommen sein? Warum wäre niemandem aufgefallen, dass Beethovens Mutter gar nicht schwanger gewesen wäre? Warum wäre das auffällig abweichende Aussehen Beethovens nie kommentiert oder thematisiert worden? Warum hätte der Pfarrer dies hinnehmen sollen, dem eine andere Hautfarbe und offensichtlich andere Abstammung auch hätte auffallen müssen? Warum hätte er das verschweigen und gegen das geltende Recht den Taufeintrag verfälschen sollen?
(c) Beethovens Mutter müsste Ehebruch begangen haben. Die Geschwister Beethovens wären dann nur dessen Halbgeschwister. In diesem Falle käme die afrikanische Herkunft dann über den unbekannten leiblichen Vater – aber auch hier wären zu viele Fragen zu klären: Wer wäre dann Beethovens Vater? Es müsste sich ja dann hier um eine Person afrikanischer Herkunft handeln, die Anfang 1770 in Bonn gewesen sein müsste. Die Hofkalender wie die anderen Quellen zur Geschichte der Residenzstadt Bonn geben aber keinen Hinweis auf die Anwesenheit eines Afrikaners in Bonn. Weiter wäre zu fragen, warum ein dunkelhäutiges Kind weder dem betrogenen Ehmann noch dem Pfarrer aufgefallen sein sollte? Und wieder: Warum sollte das Umfeld geschwiegen haben? Wären nicht schon zu Beethovens Kindheit und Jugend zumindest Gerüchte über eine Liaison der Mutter mit der dann eben wegen ihrer Exotizität eigentlich stadtbekannten unbekannten Person aufgekommen?
Abgesehen davon, dass es nicht statthaft ist, jemandem ohne hinreichend kräftige Indizien einen Ehebruch zu unterstellen, gilt für alle Thesen (a) bis (c): Entia non sunt multiplicanda praeter necessitatem. Die einfachste Erklärung ist die beste – und das ist hier die Annahme, dass der Taufeintrag vom 17.12.1770 sich auf den ehelichen Sohn von Johann van Beethoven und Anna Maria Keverich bezieht, eben den späteren Komponisten Ludwig van Beethoven. Erklärungen, die gegen die Quellenlage ein halbes Dutzend unbeweisbare Annahmen treffen müssen (es könnte dies, es könnte jenes, vielleicht war auch noch etwas ganz Anderes), haben keine Überzeugungskraft und keinen Wert.
Das Fazit: Beethoven war, soweit die vorhandenen historischen und genealogischen Quellen dazu eine Aussage zulassen, nicht afrikanischstämmig; es gibt nicht die Spur eines Hinweises darauf, dass einer seiner näheren Vorfahren (mindestens bis zu den Ururgroßeltern) aus Afrika stammte. Das schließt einen einzelnen afrikanischen Vorfahren irgendwo in der Vergangenheit – im 16. Jahrhundert oder früher – nicht aus, aber dies entzieht sich der historischen Überprüfung – und macht Beethoven weder zu einem Schwarzen noch zu jemandem mit afrikanischer Herkunft.
Der von Roberto Blanco und anderen verlangte DNA-Test sollte allerdings gleichwohl durchgeführt werden – und zwar aus mehreren Gründen: Zu klären wäre, ob der Schädel in Beethovens Grab zum Rest des Skeletts passt – und eventuell ließe sich sogar feststellen, welche Gebeine hier miteinander vermischt worden sind -; man könnte klären, ob Minona, die „Anonima“, möglicherweise die uneheliche Tochter Beethovens war, und schließlich, um mit der Behauptung eines „schwarzen“ Beethoven ein Ende zu machen. Man kann sich allerdings schon vorstellen, dass die Reaktion auf ein unerwünschtes Ergebnis nicht die Akzeptanz ist, sondern dann die Behauptung, jene Gebeine ohne Spuren einer afrikanischen Herkunft in der DNA seien dann eben gar nicht Beethovens gewesen.
Zu befürchten ist also, dass sich das Rad des identitätspolitischen Irrsinns weiter drehen wird, bis es am Ende als Rassismus denunziert wird, wenn man auf die historischen Fakten zu Beethovens Familie und Vorfahren verweist – oder bis zumindest die Universität Bonn eine Triggerwarnung verlangt, wenn jemand die afrikanische Herkunft Beethovens als das bezeichnet, was sie ist: ein Märchen.
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