Falsches und Fragwürdiges im DFD (5)
Nach Längerem noch mal eine Folge zu Falschem und Fragwürdigem im „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“ (DFD) (der vorherige Beitrag hier).
Irgendwann in den letzten zwei Jahren sind die FAQ auf der Homepage des Projekts neu hinzukommen. Mehrere Fragen greifen die an anderer Stelle geäußerten Kritikpunkte auf [zum Beispiel von mir 2016; siehe unten], aber die Antworten überzeugen nicht.
Dass für jede graphische Variante eines Namens (etwa Schmidt und Schmitt) eigene Namenartikel angelegt werden, wird damit gerechtfertigt, die Zusammenführung automatisch nicht möglich und manuell zu aufwendig wäre. Man nimmt mit Erstaunen zur Kenntnis, dass die Erarbeitung eines vollständigen Namenartikels weniger aufwendig sein soll als die Anlage eines Querverweises. Bei einem Onlineprojekt wie dem DFD ist ja nichts einfacher als Möglichkeit der Verlinkung und Weiterleitung – von Schmitt könnte entweder eine automatische Weiterleitung auf Schmidt erfolgen oder der Artikel Schmitt könnte sich auf den Link zu Schmidt beschränken. Damit ist auch das Beispiel ad absurdum geführt, dass „im Extremfall […] ein Nutzer/eine Nutzerin mit Familiennamen Robert seinen/ihren Namen unter H suchen“ müsse, „da dieser unter dem Namenelement Hrod- subsumiert ist“ – es wäre beinahe völlig egal, unter welchem Lemma ein Name (einschließlich der Schreibvarianten) erklärt wird, da jeder Nutzer durch Verlinkungen an die richtige Stelle geführt würde.
Die Projektdauer von 24 Jahren „zunächst“ damit zu erklären, dass für jeden Namen – Donnerwetter – „sechs deutschsprachige Standardwerke (überregionale Familiennamenwörterbücher) konsultiert“ werden müssen, möchte man gar nicht weiter kommentieren. Nichts gegen ein Langzeitprojekt von 24 Jahren – wenn am Ende fundierte und zuverlässige sprachhistorische Erklärungen vorliegen würden, die inhaltlich und methodisch über die vorhandenen Namenwörterbücher hinausgehen. Leider wird auf den erforderlichen konsequent sprachhistorischen Zugriff weiter verzichtet; bei der Frage nach der Berücksichtigung historischer Schreibungen wird betont, das DFD habe „seinen Schwerpunkt auf der inhaltlichen und sprachlichen Erklärung des Namens“ – als ob eine zutreffende inhaltliche und sprachliche Erklärung ohne die Berücksichtigung der relevanten historischen Schreibungen möglich sei. Die Versicherung, zur „Stützung der Deutung“ werde aber „eine Auswahl solcher Belege im Namenartikel“ angegeben, wird durch die Namenartikel selbst weiterhin nicht bestätigt. Mehrere Deutungen vorzuschlagen und dazu einen einzigen historischen Beleg anzuführen, ohne zu erörtern, welche der möglichen Deutungen dadurch eine „Stützung“ erfährt, hat allenfalls anekdotische Evidenz.
Das sei an folgendem Beispiel konkretisiert: Die Namen Schiefer und Schieffer finden sich vor allem Rheinland zwischen Köln und Aachen. Dazu einen einzigen Beleg auf Wien aus dem Jahr 1439 anzuführen („Casparn des Schifer“) besagt rein gar nicht; es wird nicht einmal unterschieden, ob sich der Wiener Beleg auf einen Schieferdecker bezieht (zu klären wäre: Wurden im 15. Jh. in Wien Häuser mit Schiefer gedeckt?) oder hier der Herkunftsname nach den österreichischen Ortsnamen Schiefer vorliegen könnte. Für das Rheinland hingegen gilt auf jeden Fall auch die vom DFD verworfene Erklärung, nämlich die Benennung nach dem Beruf des Schäfers („aus lautlichen Gründen unsicher“). Kirchenbücher und andere personenbezogene Quellen des 16. und 17. Jahrhunderts belegen für den genannten Raum zur Genüge, dass die Schreibungen Schäfer, Scheffer, Schiffer, Schieffer etc. alternieren und sich auf den Schäfer beziehen (so wie der Schiffhoff bei Höningen im Süden von Köln auf Schafhaltung spezialisiert war). In einem inhaltlich fundierten Artikel würden historische Belege angeführt, die nachweisen, dass sich Namen wie Schiefer einerseits auf den Schieferdecker, andererseits den Schäfer beziehen und würden so weit wie möglich eine räumliche und ggf. auch zeitliche Differenzierung vornehmen. Die Erwähnung, dass tatsächlich im Jahr 1439 in Wien jemand der Schifer genannt wurde, hilft hingegen genau gar nicht.
Ähnlich lautet auf die Frage: „Warum berücksichtigen Sie nicht die genealogischen Nachforschungen?“ die überraschende Antwort:
Die historische Dokumentation eines Namens kann, muss aber nicht zur sprachlichen Erklärung beitragen. […] In erster Linie wird die Bedeutung eines Namens mit Hilfe sprachwissenschaftlicher Methoden geklärt. Auch wenn es gegenseitige Berührungspunkte gibt, ist grundlegend eine Trennung von Familiennamenforschung und Familienforschung zu treffen, da die Zielsetzungen unterschiedlich sind.
Selbstverständlich verfolgen Namenforschung und Familiengeschichtsforschung unterschiedliche Fragestellungen: Die Onomastik möchte die Bedeutung von Namen, die in der Regel einige Jahrhunderte alt sind, und die Motivation der Namengebung bzw, -entstehung erklären, während sich die Familiengeschichtsforschung mit der Geschichte und den Beziehungen von Personen im historischen Kontext beschäftigt. Aber beide Wissenschaften sind aufeinander angewiesen: Der Familiengeschichtsforscher ist auf die Ergebnisse sprachhistorischer bzw. onomastischer Forschung angewiesen, wenn er die Namen der Personen, mit denen er sich beschäftigt, verstehen möchte; der Namenforscher aber ist auf die Ergebnisse der Familiengeschichtsforschung angewiesen, um einen Namen im zeitlichen, räumlichen und sozialen Kontext unter Anwendung der sprachhistorischen Methoden deuten zu können. Das gilt natürlich nicht für alle Namen – Müller, Schmidt, Bäcker, Schneider, Wirt sind etymologisch noch durchsichtig genug, um von der rezenten Namenform zu einer zutreffenden Deutung zu kommen. Selbstverständlich sind auch nicht zu jedem Namen vor einer sprachhistorischen bzw. etymologischen Deutung genealogische Forschungen erforderlich. Es gibt aber genug Namen, die sich nur deuten lassen, wenn man das Verbreitungsgebiet, die historischen Schreibungen und eben auch den sozialen Kontext der frühesten belegten Namenträger mit in den Blick nimmt. Kirchenbücher aus dem Kölner Raum belegen beispielsweise, dass der Familienname Langen bis ins 18. Jahrhundert auch Langel geschrieben wird – offensichtlich kann es sich auch um einen Herkunftsnamen nach dem heute Kölner Ortsteil Langel handelt, was im entsprechenden Artikel zu Langen nicht erwähnt wird (wo der Verfasserin aber auch nicht aufgefallen ist, dass sich die Verbreitung des Namens Langen im Rheinland nicht einmal ansatzweise mit der Verbreitung der gleichlautenden Ortsnamen deckt).
Wie ich schon an anderer Stelle festgestellt habe, ignoriert das DFD ein wesentliches Charakteristikum von Familiennamen, nämlich deren Wandelbarkeit über rein lautgesetzliche (Monophthongierung, Diphthongierung etc.) und orthographische Veränderungen (Meier vs. Meyer) hinaus, wofür die „etymologische Mehrdeutigkeit“ oder die „volksetymologische oder kanzleisprachliche Reinterpretation“ verantwortlich ist (Kollmann et al. S. 2). Wenn das DFD auf eine genaue Untersuchung der Entstehung, Motivation und Entwicklung der Namen verzichtet und sich darauf beschränkt, die rezenten Namenformen zu deuten, dann liefert es – nicht anders als die bereits vorhandenen Familiennamenwörterbücher – „lediglich potentielle Etymologien für einen Familiennamen basierend auf der Annahme, dass die angegebenen Etymologien […] auf das Familiennamenlemma […] zutreffen können“ (Brendler S. 576f.), aber keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie bestimmte Namen wirklich entstanden und zu erklären sind. Für eine Sammlung von nur potentiellen Etymologien sind 24 Jahre allerdings recht viel.
Hier noch eine weiteres Beispiel für eine eklatante Fehldeutung, nämlich die zum Namen Lindlohr: Die Artikelautorin Julia Griebel stellt Lindlohr (mit -r am Ende!) zu dem Namen Lindloh (ohne -r) und erklärt ihn als Wohnstätten- oder Herkunftsnamen:
Benennung nach Wohnstätte zu mittelhochdeutsch linde , linte , mittelniederdeutsch linde ‘Linde’ und mittelhochdeutsch lō , lōch , lōhe , mittelniederdeutsch lō , loh , loch , lā , lage ‘Gehölz, Gebüsch’ für jemanden, der bei einem Lindengehölz oder auf einem gleichnamigen Flurstück wohnt.
Das auslautende -r hält sie für das „Suffix -er, das hier zu -r verkürzt wurde.“ – Ein Blick auf die dem Artikel beigegebene Verbreitungskarte hätte der Verfasserin vielleicht geholfen: Der Name Lindlohr hat eine außerordentlich eng umrissene Verbreitung: Er findet sich im Rheinland und dort quasi nur im Raum Bonn. Knapp 50 km nordöstlich von Bonn liegt Lindlar im Bergischen Land. Der Familienname Lindlar, zu dem es auch schon einen Artikel gibt, zeigt genau die gleiche Verbreitung wie Lindlohr. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen. Eine Abstimmung mit der Kollegin wäre sinnvoll gewesen.
Zu Ruhland und verwandten Namen wird behauptet, zur Beliebtheit des Vornamens Roland habe das Rolandslied beigetragen. Hier wüsste man gerne, wann und wo der Vorname Roland im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit wirklich „beliebt“ gewesen sei. Die Verbreitung der von Roland abgeleiteten Familiennamen spricht mehr für eine regionale als eine allgemeine Beliebtheit – und dass das hochmittelalterliche Rolandslied dazu beigetragen habe, wäre erst zu belegen. Roland wird übrigens auch nur in der Sage zum Neffen Karls des Großen – historisch war er es nicht.
Und natürlich verdient auch der Artikel zu Kemper einen Kommentar – in den nächsten Tagen!
Zitierte Literatur:
- Silvio Brendler: Familiennamenforschung und Genealogie. In: Familiennamen im Deutschen. Erforschung und Nachschlagewerke. Jürgen Udolph zum 65. Geburtstag zugeeignet. Hrsg. von Karlheinz Hengst und Dietlind Krüger. Bd. 1: Deutsche Familiennamen im deutschen Sprachraum. Leipzig 2009, S. 575–593
- Tobias A. Kemper: Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. 2 Teile. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 65 (2016)
- C. Kollmann, P. Gilles, C. Muller: Luxemburger Familiennamenbuch. Berlin, Boston 2016