Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum DFD (1)
Hinweis: Eine ausführliche kritische Besprechung des DFD, die über diese Beitrage auf dem Blog hinausgeht, habe ich im Druck veröffentlicht: Tobias A. Kemper: Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 65 (2016), S. 177-192 (Teil 1); Teil 2 im Druck.
Seit Herbst 2011 wird durch die Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz das „Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands“ (DFD) als Langzeitvorhaben in Kooperation mit der Technischen Universität Darmstadt und der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gefördert. Das Projekt ist für ein germanistisch-sprachwissenschaftliches Vorhaben sehr groß dimensioniert; unter der Gesamtleitung von Prof. Dr. Damaris Nübling in Mainz und Prof. Dr. Nina Janich wird das DFD von drei Arbeitsstellenleiterinnen, sieben Wissenschaftlichen Mitarbeitern und sechs Hilfskräften erarbeitet. Während der Projektlaufzeit von 24 Jahren (also bis 2035) sollen so „mehr als 250.000 Namenartikel zuverlässig erarbeitet werden“ (Fahlbusch/Heuser 2014, 211).
Ein solches Vorhaben ist grundsätzlich außerordentlich begrüßenswert, da die deutschen Familiennamen (bzw. im Sinne des DFD: die Familiennamen in Deutschland) bislang nur unzureichend lexikographisch erfasst sind. Als wesentliche Probleme der bisherigen deutschen Familiennamenwörterbücher sind zu nennen (vgl. Fahlbusch/Heuser 2014, 209f.):
- Nur ein Teil der tatsächlich in Deutschland vorkommenden Namen ist in den vorhandenen Familiennamenwörterbüchern (vor allem: Bahlow, Brechenmacher, Duden, Gottschald) erfasst.
- Manche der vorliegenden Nachschlagewerke sind veraltet, untereinander widersprüchlich oder regional begrenzt.
- Die Deutungen entsprechen teilweise nicht mehr dem aktuellen Stand der sprachhistorischen und der onomastischen Forschung; insbesondere wird die Familiennamengeographie nur in Ansätzen berücksichtigt.
- Die Deutungen sind nicht immer angemessen gewichtig, und Bedeutungskonkurrenzen (mehrere mögliche Erklärungen für einen Namen) sind nicht ausreichend berücksichtigt (was partiell auch wieder mit der mangelnden Kenntnis der Familiennamengeographie zusammenhängt).
In der Projektvorstellung wird die Zielsetzung wie folgt beschrieben:
Erstmals sollen alle derzeit in Deutschland vorkommenden Familiennamen – unter Einbeziehung der fremdsprachigen Namen – lexikographisch erfasst, kartiert und (unter Berücksichtigung des erst seit Kurzem bestehenden Wissens um die geographische Verbreitung der Namen) etymologisiert werden.
Nach Ausweis der Telekom-Datenbank (Stand: 2005) gibt es in Deutschland aktuell ca. 800.000 unterschiedliche Familiennamen, eine Zahl, die bei bisherigen Schätzungen weit unterschritten wurde. Die derzeit vorhandenen Familiennamenlexika enthalten maximal 70.000 verschiedene Namen – weniger als 10% der Gesamtzahl. Das DFD erfasst jeden Familiennamen mit mindestens zehn Telefonanschlüssen und enthält damit einen soliden Grundbestand von ca. 200.000 Familiennamen.
Als die wesentlichen Aufgaben des DFD werden genannt:
- Zusammenführung von Bedeutungskonkurrenzen aus der vorliegenden Familiennamenliteratur.
- Präzisierung bisheriger Deutungen und Erweiterung um Zusatzinformationen.
- Neubewertung bisheriger Deutungen durch Ausschluss unwahrscheinlicher Bedeutungskonkurrenzen oder deren kritische Bewertung.
- Erstaufnahme eines Namens, der eine Variante zu einem häufigeren Familiennamen darstellt (der in einem Wörterbuch auftaucht) und deshalb nicht neu gedeutet werden muss.
- Erstdeutung eines Familiennamens, der in keinem der wichtigen Familiennamenwörterbücher aufgenommen ist und erstmals gedeutet werden muss.
- Neudeutung eines Familiennamens, wenn keine der bisherigen Deutungen zutreffen kann.
Etwas ausführlicher heißt es bei Fahlbusch/Heuser 2014, 210:
Die Bedeutungskonkurrenzen müssen auf ihre Wahrscheinlichkeit hin überprüft und dementsprechend angeordnet, teilweise auch erläutert und genauer erläutert werden. Nicht zutreffende Etymologien kennzeichnen wir eigens als solche, sich neu anbietende prüfen wir eingehend und fügen sie ggf. hinzu.
Seit Kurzem ist jetzt das DFD mit den ersten knapp 1.400 Namensartikeln [Stand: 5.9.2015] online, so dass es möglich ist, das Projekt auf dieser Grundlage vorzustellen und kritisch zu kommentieren. So wünschenswert ein solch umfassendes Familiennamenwörterbuch ist – und noch dazu online frei zugänglich -, so wirft das DFD in seiner jetzigen Umsetzung leider eine ganze Reihe von Fragen auf, und zwar in konzeptioneller wie in methodischer und inhaltlicher Hinsicht.
Dieser erste Beitrag einer kleinen Serie beschäftigt sich mit der Konzeption des DFD und seinem synchronen Ansatz, der zweite Beitrag mit dem Aufbau und der inhaltlichen Gestaltung der Namenartikel des DFD, der dritte Beitrag mit dem methodischen Vorgehen bei der Deutung der Familiennamen und der Deutung selbst.
Der Untersuchungsgegenstand: Familiennamen in Deutschland, nicht deutsche Familiennamen
Das DFD ist ausdrücklich kein Wörterbuch der deutschen Familiennamen, ggf. unter Einschluss auch untergegangener Familiennamen oder deutscher Familiennamen außerhalb Deutschlands (in Österreich, in der Schweiz, in Luxemburg, in den belgischen Ostkantonen …), sondern es soll die „derzeit in Deutschland vorkommenden Familiennamen – unter Einbeziehung der fremdsprachigen Namen“ – lexikographisch erfassen.
Mit diesem primär synchronen Zugriff unterscheidet sich das DFD also ganz grundsätzlich von den bislang vorliegenden Familiennamenwörterbüchern (Gottschald, Duden etc.), aber auch vom Nachbarprojekt des „Luxemburgischen Familiennamenatlas“ (LFA), der historisch ausgerichtet ist. Dessen Ziel besteht im Gegensatz zum DFD ausdrücklich darin,
die Verbreitung der Familiennamen in Luxemburg und in den Nachbarregionen zu dokumentieren, um in einem zweiten Schritt Rückschlüsse auf die Sprach- und Siedlungsgeschichte und auf Phänomene des historischen Sprachkontakts schließen zu können.
Aus diesem Grund berücksichtigt der LFA neben den zeitgenössischen Telefonbuchdaten aus Luxemburg, Belgien und Deutschland auch historische (Volkszählungs-)Daten aus dem 19. Jahrhundert, während das DFD systematisch nur die Telekom-Datenbank aus dem Jahr 2005 auswertet und allenfalls in Einzelfällen das Reichstelefonbuch von 1942 heranzieht (Fahlbusch/Heuser 2014, 210).
150.000, 300.000, 800.000 oder 1.300.000 – wie viele Namen gibt es?
Hinsichtlich der Gesamtzahl der deutschen Familiennamen bzw. der Familiennamen in Deutschland gehen die Angaben weit auseinander. Bislang wurde die Gesamtzahl der genuin deutschen Familiennamen auf 150.000 bis 300.000 geschätzt (Kunze 1998, 67). In der Projektvorstellung des DFD wird die Gesamtzahl der in Deutschland vorkommenden verschiedenen Familiennamen auf der Grundlage der Telekom-Datenbank von 2005 mit rund 800.000 angegeben. Konrad Kunze, der Herausgeber des „Deutschen Familiennamenatlas“, hingegen gibt die Gesamtzahl der verschiedenen Namen für 2005 mit 1,2 Millionen an, und folgt man den Angaben des LFA, so sind in der Telekom-Datenbank mit dem Stand von 2009 sogar 1,3 Millionen verschiedene Namen enthalten.
Bei diesen differierenden Angaben ist allerdings unklar, was unter „verschiedenen“ Namen verstanden wird: Werden rein graphische Varianten eines Namens (Meier, Meyer, Maier, Mayer, Mair, Mayr) als verschiedene Namen gezählt oder alle unter einer Leitform zusammengefasst? Leider machen hierzu weder das DFD noch der LFA eine Angabe. Man kann hier allenfalls vermuten, dass der LFA möglicherweise auch rein graphische Varianten als „verschiedene“ Namen zählt, während das DFD solche Namen vielleicht nur einmal zählt – andererseits wird im DFD für jede auch nur graphische Variante ein eigener Namenartikel angelegt. Eine Klarstellung seitens der beiden Projekte wäre wünschenswert.
Ebenso unklar ist es, wie viele der rund 800.000 (oder gar 1,3 Mio.?) in Deutschland vorkommenden Familiennamen deutsche (und eingedeutschte) und wie viele davon fremdsprachige Namen sind. Folgt man den Angaben in der Projektvorstellung des DFD, so kommen 600.000 Familiennamen (also immer drei Viertel aller Namen!) weniger als zehnmal vor. Eine Stichprobe bei GeoGen mit zufällig ausgewählten italienischen, türkischen und arabischen Familiennamen zeigt, dass diese häufig weniger als zehnmal auftreten. Handelt es sich bei den 600.000 Namen mit weniger als zehn Vorkommen möglicherweise überwiegend um fremdsprachige Namen unterschiedlichster Herkunft, die mit den Migrationsbewegungendes 20. und 21. Jahrhunderts nach Deutschland gekommen sind?
Dann wären die bisherigen Schätzungen, die von bis zu 300.000 deutschen Familiennamen ausgehen, vielleicht doch nicht ganz falsch, und es würde zugleich die Behauptung relativiert, dass in den vorliegenden Familiennamenwörterbüchern weniger als 10 % der Familiennamen erfasst seien. Da in den Familiennamenwörterbüchern die deutschen Familiennamen und nicht die Familiennamen in Deutschland dargestellt werden, ist das vom DFD so betonte Missverhältnis zwischen den existierenden und den lexikographisch bereits erfassten Familiennamen möglicherweise doch deutlich geringer.
Auch ist nicht zu erkennen, wie viele wirklich verschiedene Familiennamen das DFD mit seinen geplanten 200.000 bis 250.000 Namenartikeln erfassen wird. Im DFD wird für jede orthographische Variante eines Familiennamens ein eigener Namenartikel angelegt, so dass es etwa für Zugmayer mit seinen Schreibvarianten derzeit vier Artikel gibt, für Meyer und Urban jeweils neun, für Türk(e) gar zwölf. Entweder sind bei den geplanten 200.000 Artikeln all jene Artikel, die mehr oder weniger nur auf den Hauptartikel zu dem jeweiligen Namen verweisen, nicht mitgezählt – oder die Zahl der wirklich verschiedenen Familiennamen, die das DFD erfasst, liegt nur in der Größenordnung von einigen zehntausend Namen (und zwar sowohl deutschen wie fremdsprachigen). Hier würde man sich als Benutzer des DFD dringend eine Klarstellung wünschen!
Fremdsprachige Namen in Deutschland, deutsche Namen außerhalb des heutigen Deutschlands
An dieser Stelle ist auch zu fragen, ob die Grundsatzentscheidung, im DFD alle in Deutschland vorkommenden Namen unabhängig von ihrer Herkunft zu berücksichtigen, wirklich glücklich ist. Natürlich ist es interessant, wenn im DFD auch Informationen zu den gängigsten italienischen, türkischen oder arabischen Namen zu finden sind. Aber abgesehen davon, dass es im Einzelfall schwierig sein könnte, einen fremdsprachigen Namen ohne nähere Informationen zur Herkunft des Namenträgers korrekt sprachlich einzuordnen, muss man fragen, ob sich germanistische Sprachwissenschaftler berufen fühlen sollten, die Etymologie arabischer, türkischer oder chinesischer Namen zu erforschen. Wenn man es nicht allein dabei belassen will, aus der onomastischen Literatur die vorhandenen Angaben zur Etymologie der fremdsprachigen Namen zu übernehmen, sollte man die Erforschung und Deutung jener Namen doch besser den Sprachwissenschaftlern und Onomastikern der jeweiligen Sprachen überlassen. Schließlich würde wohl auch derjenige, der sich genauer für die Etymologie arabischer, türkischer oder chinesischer Familiennamen interessiert, besser onomastische Nachschlagewerk jener Sprachen konsultieren und sich nicht mit einer Zufallsauswahl im DFD begnügen.
Vielleicht soll mit der Entscheidung, nicht nur die genuin deutschen, sondern unabhängig von der sprachlichen Zuordnung alle mindestens zehnmal vorkommenden Familiennamen zu berücksichtigen, das Problem umgangen werden, wie sonst über die Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung all jener fremdsprachigen oder entlehnten Namen entschieden werden sollte. Latinisierte (Pistor, Nicolai) und gräzisierte Namen (Mylius) müssten ja auf jeden Fall ebenso berücksichtigt werden wie alle mehr oder weniger stark eingedeutschten, zu unterschiedlichen Zeiten aus unterschiedlichen Sprachen entlehnten Namen (v.a. aus dem Französischen, Niederländischen, Italienischen und aus den slawischen Sprachen). Man hätte hier natürlich ein Stichdatum (1945? 1914?) festlegen können, um dann alle deutschen und (ursprünglich) fremdsprachigen Namen zu berücksichtigen, die vor diesem Datum im deutschen Sprachraum nachweisbar sind. So hätte man all jene fremdsprachigen Namen berücksichtigt, die in der Frühen Neuzeit und im 19. Jahrhundert nach Deutschland gelangt sind, aber zugleich die Masse an neuen fremdsprachlichen Namen ausgeklammert. So wenigstens scheint der LFA vorzugehen.
Vielleicht wollte man sich auch nicht dem Vorwurf auszusetzen, mit der Beschränkung auf die deutschen und entlehnten und eingedeutschten Namen einer angeblich überholten Nationalphilologie anzuhängen und/oder die neuen gesellschaftlichen Realitäten nicht zur Kenntnis zu nehmen; vielleicht soll aber auch im Sinne der politischen Korrektheit jeder Eindruck einer auch nur scheinbaren Ausgrenzung von Zuwanderern vermieden oder gar bewusst dokumentiert werden, wie „bunt“ und „vielfältig“ Deutschland sei. Das assoziierte und ebenfalls an der Mainzer Universität beheimatete Projekt „TransOnym“ („Gegenstand ist die Namenwahl und Selbstbenennung von Transmenschen“) wenigstens reitet auf der aktuellen Welle der politischen Korrektheit und der sogenannten „Gendergerechtigkeit“.
In einer Zeit, in der die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften das 1904 begonnene Vorhaben der „Deutschen Texte des Mittelalters“ nicht mehr für förderungswürdig hält und die DTM-Arbeitsstelle schließt, in einer Zeit, in der Universitäten von den Studenten mit der Androhung einer Schlechterbewertung die Verwendung einer „gendersensiblen Sprache“ verlangen, ist die Annahme wohl nicht abwegig, dass auch bei der Entscheidung über die Förderungswürdigkeit geisteswissenschaftlicher Forschungsvorhaben der Zeitgeist eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Während also fremdsprachige Familiennamen in unbekannter Zahl in das DFD aufgenommen werden, bleiben deutsche Familiennamen unberücksichtigt, die heute gar nicht mehr oder nur außerhalb Deutschlands vorkommen (Beispiele: Rundeltappe / Rondeltap nur noch in den Niederlanden; Gix nur noch in den USA). Dies erklärt sich vor allem aus der primär synchron orientierten Vorgehensweise des DFD, daneben aber vielleicht auch dadurch, dass die Überlieferung (und die Erschließung) von Volkszählungsregistern, Steuerregistern etc. für die einzelnen Regionen bzw. die verschiedenen Territorien des Alten Reiches sehr unterschiedlich ist.
Der Ausschluss jener deutschen Namen, die heute nur in Luxemburg oder Österreich, aber nicht in Deutschland vorkommen, ist nachvollziehbar, da diese durch je eigene Vorhaben erschlossen werden, den LFA bzw. FamOS („Familiennamen in Österreich“). Hingegen wäre es bestimmt sinnvoll, die deutschen Namen in den belgischen Ostkantonen systematisch zu berücksichtigen, da es sichbei Eupen-Malmédy um ein nur kleines Gebiet handelt, das historisch eng mit den angrenzenden deutschen Gebieten verbunden ist, so dass auch viele Namen auf beiden Seiten der Grenze auftreten.
Die Familiennamen aus den früheren deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße sowie aus den deutschen Siedlungsgebieten in Ost- und Südosteuropa (Böhmen und Mähren, Banat, Siebenbürgen …) werden offensichtlich nur dann berücksichtigt, wenn sie infolge von Flucht, Vertreibung oder Aussiedlung heute in Deutschland vorkommen und das Häufigkeitskriterium von mindestens zehn Vorkommen erfüllen. Die (historische) Familiennamengeographie jener Namen, die auch Aufschluss über deren ursprüngliche Verbreitung und damit oft die Herkunftsregion oder gar den Herkunftsort geben würde, kann vom DFD in seiner synchronen Konzeption nicht erfasst werden; die heutige Verbreitung jener Namen sagt nichts mehr über die Zeit vor 1945 und lässt allenfalls erkennen, wo Flüchtlinge und Vertriebene nach 1945 ansessig geworden sind.
Angesichts von etwa 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg betrifft dieses Problem einen nicht unerheblichen Teil des deutschen Namenbestandes. Es kommt hinzu, dass bei der primär synchronen Herangehensweise des DFD auch nicht zu erkennen ist, welche Namen auch oder vor allem aus den früheren Ostgebieten oder den deutschen Siedlungsgebieten stammen. Bei Namen slawischer Herkunft kann dies vielleicht noch vermutet werden, wobei für die Klärung, ob ein Name eher aus dem Polnischen, dem Tschechischen oder Slowakischen stammt, auch wieder die Kenntnis der ursprünglichen Verbreitung notwendig wäre. Bei genuin deutschen Namen aber dürfte in vielen Fällen die Herkunft eines Namens aus Böhmen, Schlesien, Pommern oder Siebenbürgen nicht leicht zu erkennen sein (Kuppe, Blümel, Kuttelwascher …), so dass auch die Namenartikel in diesen Fällen dann oft unvollständig oder ungenau sein werden.
Auch die Familiennamen der deutschen Juden, die vor 1933 mit rund 500.000 immerhin knapp 1 Prozent der Bevölkerung des Reiches ausmachten, werden im DFD mit seiner synchronen Herangehensweise allenfalls in Teilen berücksichtigt werden können.
Zusammenfassend ist also zunächst festzuhalten, dass das DFD primär synchron orientiert ist, indem die gegenwärtig in Deutschland vorkommenden Namen erfasst und dargestellt werden sollen. Dabei bleiben die für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts so wesentlichen territorialen Veränderungen und massiven Bevölkerungsverschiebungen (Vertreibung und Ermordung der Juden; Flucht und Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten) in der Konzeption des DFD unberücksichtigt.
Im nächsten Teil wird der Aufbau der Namenartikel des DFD in den Blick genommen. Dabei wird sich leider zeigen, dass die synchrone Herangehensweise dazu führt, dass die inhaltliche Füllung der verschiedenen Gliederungspunkte der Namenartikel in verschiedener Hinsicht problematisch, widersprüchlich oder sachlich verfehlt ist.
Zitierte Literatur:
- Bahlow, Hans: Deutsches Namenlexikon. Familien- und Vornamen nach Ursprung und Sinn erklärt. 16. Aufl. Frankfurt a. M. 2005.
- Brechenmacher, Josef Karlmann: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen. 2 Bde., 2., von Grund auf neubearb. Aufl. Limburg 1957-1963.
- Duden Familiennamen. Herkunft und Bedeutung. Bearb. von Rosa und Volker Kohlheim. 2., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim 2005.
-
Fahlbusch, Fabian; Heuser, Rita Heuser: Das „Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. Möglichkeiten und Ziele am Beispiel regionaler Namen. In: Familiennamen zwischen Maas und Rhein.Hrsg. von Peter Gilles, Cristian Kollmann und Claire Muller. Frankfurt 2014, S. 209-226.
- Gottschald, Max: Deutsche Namenkunde. Mit einer Einführung in die Familiennamenkunde von Rudolf Schützeichel. 6. durchges. und bibliograph. aktualisierte Auflage Berlin, New York 2006.
- Kunze, Konrad: dtv-Atlas Namenkunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. München 1998.
Vielen Dank, Herr Kemper, für diese Kritik. Bereits zu meinem eigenen Namen vermisse ich eine gründlichere Ausarbeitung; die mich betreffende Nebenbedeutung ist beispielsweise gar nicht erfasst. Sie stammt nämlich aus Schlesien. Das unterstreicht, dass eine Namenssammlung, die sich auf das Bundesgebiet beschränkt, vielleicht bequemer, aber nicht sachgerecht ist. Namen kennen keine Grenzen; Namen sind Teil der Kultur, und deutsche Kultur gibt es nicht nur in der Bundesrepublik.
Ich habe über 10 Namen innerhalb meiner Familie gesucht. Keinen gefunden, obwohl alle im telefonverteilungsverzeichnisvzu finden sind!
Wie ich im Artikel geschrieben habe, sind bislang ja auch nur rund 1.400 Namenartikel online. Wenn man bedenkt, dass manche Namen direkt mit zehn Artikeln bedacht werden (Meyer, Türk …), dann werden von den rund 1.400 Namenartikeln nur einige hundert Namen abgedeckt. Es kommt hinzu, dass im Moment anscheinend bevorzugt türkische Familiennamen bearbeitet werden …
Auch mein Familienname erscheint noch nicht, den ich in allen möglichen Schreibweisen in der Suchmaske eingegeben habe. Das liegt wohl daran, dass der Name PASSAUER noch zu den „noch-nicht-erfassten“ Familiennamen gehört. Ich übe mich in Geduld.
Klaus Graf hat die Beiträge zum DFD freundlicherweise in seinem Blog verlinkt:
http://archiv.twoday.net/stories/1022473191/
Dort sind auch weitere Kritikpunkte ergänzt, teils zur technischen Umsetzung, teils inhaltlicher Art.
Bei der Onomastik der deutschen Familiennamen schreiben die Lexika seit Jahrzehnten von einander ab, ohne eigene Nachforschungen zu betreiben. Gerade im heutigen Internetzeitalter durfte es nicht allzu schwer sein, die vielen genealogisch Tätigen zur Mitteilung ihrer Erkenntnisse über Ihre Familiennamen zu bewegen. Sie könnten das frühe Auftreten eines Namens mit seinen sprachlichen und grafischen Varianten zeitlich und örtlich nachweisen. Sie könnten die von ihnen gefunden Namensdeutungen mit ihren Erfahrungen weitergeben. So stammt der Name:
– Lorig, Lorrig, Lohrig, Lorich – möglicherweise von frühen Auswanderern aus dem kleinen aber uralten Ort Lorich bei Trier, die man in anderen Orten nach ihrem Herkunftsort benannte. Ebenso wohl auch bei – Soest, von Soest, van Soest, Soester mit dem Herkunftsort Soest. ähnlich wohl auch bei westfälischen Hofnamen, der ursprüngliche Hofname „Meier zu Batenhorst“ vereinfacht sich über „Meier Batenhorst“ zu Batenhorst.
Nur für den in Wiedenbrück häufigen Namen „Goldkuhle“ habe ich bisher noch keine Deutung gefunden. Er bürgert um 1600 bereits als Goldkuhl dort ein.
Zum im DFD erwähnten Beispiel-Versuch, den Namen „Schillo“ richtig zu deuten, eine Anmerkung. Stimmt wohl so, dass dieser Name über „Gillot“ von „Aegidius“ abgeleitet werden kann. Und die räumliche Zuordnung passt wohl auch. „Gillot“-Namensträger gibt es aktuell in Oppenheim am Rhein. Auch gibt es eine Ableitung „Gilles“ zu Aegidius an der Mittelmosel in Klotten/Mosel. Wie soll das denn im DFD dargestellt werden?
Tja, gute Frage, lieber Stefan. Auf die Darstellung historischer Entwicklungen bei den Namen verzichtet das DFD leider.
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