Nach fast drei Jahrzehnten familiengeschichtlicher Forschung ist es an der Zeit, nicht nur Datenbanken mit genealogischen Informationen zu füllen und mehr oder weniger unübersichtliche und nur für Eingeweihte verständliche Ahnenlisten zu erstellen, sondern einzelne Themen und Forschungsergebnisse in einer besser lesbaren und verständlichen Form aufzubereiten und zu darzustellen. Neben der traditionellen Veröffentlichung im Druck erscheint eine Homepage als das geeignete Medium, um sowohl kürzere Beiträge zu familiengeschichtlichen, historischen und verwandten Themen als auch längere Ausarbeitungen und ausführliche Ahnenlisten zu publizieren.

Der Titel Saecula ist im doppelten Wortsinne gemeint, indem sich die Familiengeschichte mit vergangenen Jahrhunderten beschäftigt, aber auch mit vergangenen Welten, die uns mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer fremder werden, aber doch uns und unsere Existenz entscheidend geprägt haben.

Von Karl dem Großen trennen uns rund 40 Generationen, vom Spätmittelalter 20, von unseren Vorfahren des 18. Jahrhunderts gar nur sechs Generationen, aber gerade die in den letzten zweihundert Jahren eingetretenen Veränderungen sind immens. Man mag hier zunächst an die Industrialisierung denken, mit der eine fundamentale Umwälzung der Lebensweise und der Lebensbedingungen einhergegangen ist, die aber zugleich den Menschen bis dahin ungeahnte individuelle Möglichkeiten eröffnet hat, und keinesfalls zu vergessen ist informationstechnische Revolution der letzten Jahre, die zu einer fast ubiquitären Verfügbarkeit von Information geführt hat (und ohne die auch die Familiengeschichtsforschung erheblich schwieriger, in manchen Punkten unmöglich wäre).

Zu denken ist aber auch und vor allem an den schrittweisen Untergang des christlichen Europas, das aus der griechisch-römischen Antike hervorgegangen ist und mit der Christianisierung des Römischen Reiches im vierten und der Taufe Chlodwigs und der Franken im späten fünften Jahrhundert seinen Anfang genommen hatte. Nach rund einem Jahrtausend des Bestehens zerbrach zunächst im Zeitalter der Reformation die konfessionelle Einheit Europas, ehe nach weiteren drei Jahrhunderten die Französische Revolution und die Napoleonischen Kriege die gewachsenen christlichen und kirchlichen Strukturen davonfegten, zahllose Kulturgüter vernichteten und dem fast tausendjährigen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation den Untergang brachten – ein Ereignis, auf das die Zeitgenossen mit großer Erschütterung reagierten und das „den massivsten Bruch in der deutschen Geschichte vor 1945“ darstellt.[1]

Die auf den Trümmern des alten Europa errichtete neue staatliche und gesellschaftliche Ordnung von 1789/1815 ermöglichte im Laufe des 19. Jahrhunderts die großen Fortschritte der Industrialisierung und brachte schrittweise demokratische Mitbestimmungsrechte und bürgerliche Freiheitsrechte für die Menschen, fand aber dann selbst ihr Ende im Ersten Weltkrieg, der Urkatastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, die Europa in das Zeitalter der totalitären Ideologien führte. Der Faschismus wie der Kommunismus trachteten gleichermaßen danach, die letztlich humanistische und christliche Grundordnung Europas zu beseitigen, begingen monströse Verbrechen bei dem Versuch, neue Gesellschafts-, Wert- und Weltordnungen zu etablieren und verwandelten insbesondere Osteuropa in bloodlands[2]. Die Barbarei des Dritten Reiches führte zu dem unfassbaren Zivilisationsbruch der Shoah und stürzte Europa in den totalen Krieg – eine Folge davon war die territoriale Neuordnung Mittel- und Osteuropas mit der damit einhergehenden millionenfachen Flucht und Vertreibung, dem unwiederbringlichen Verlust historisch gewachsener Kulturlandschaften und der Vernichtung unschätzbaren Kulturguts an Bauten, Bibliotheken und Archiven.

Im 21. Jahrhundert stehen Europa genauso durchgreifende Veränderungen bevor. Der demographisch bedingte Rückgang der einheimischen[3] Bevölkerung geht gleichzeitig einher mit der Auflösung von traditionellen religiösen und kulturellen Bindungen und einem Verlust von Geschichtsbewusstsein[4] und Geschichtsverständnis, während gleichzeitig eine Zuwanderung ungeahnten Ausmaßes[5] erfolgt, deren Folgen für die gesellschaftliche und politische Ordnung und für Europa als Kulturraum nicht abschätzbar sind.[6]

So handelt die Familiengeschichte von vergangenen saecula, berichtet aus einer Welt, die uns nach den Veränderungen der letzten zweihundert Jahre teilweise schon sehr fremd, aber zugleich doch noch vertraut genug ist. Angesichts des sich beschleunigenden Wandels unserer Lebenswelt aber nimmt die Alterität, die Andersartigkeit der Vergangenheit rasch zu, und so ist es um so wichtiger, diese Vergangenheit wenigstens forschend, erzählend und beschreibend festzuhalten.

 

[1] Zum epochalen Einschnitt um 1806 und der Reaktion der Zeitgenossen vgl. Wolfgang Burgdorf: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806. München 2006 (Bibliothek Altes Reich 2) (Zitat dort S. 2).

[2] Vgl. Timothy Snyder: Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin. München 2010.

[3] Statt von der „einheimischen“ würde man wohl treffender von der „autochthonen“ Bevölkerung sprechen, um einen Unterschied zu machen zu jenen, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten zugewandert sind und mittlerweile auch „einheimisch“ sind. Der Begriff „autochthon“ könnte allerdings dem Vokabular einer bestimmten politischen Richtung zugeordnet werden und daher, wenn man es wollte, missverstanden werden, so dass darauf hier verzichtet wird.

[4] Vgl. Francis O’Gorman: Forgetfulness: Making the Modern Culture of Amnesia. 2017.

[5] An dieser Stelle könnte man über das gewandelte Verhältnis des alten Europa zum Islam sprechen, das bis ins 18. Jahrhundert hinein ganz wesentlich durch Konflikte und Kriege geprägt war und so die Wahrnehmung unserer Vorfahren geprägt hat, die sich folglich ganz grundsätzlich von unserer heutigen Wahrnehmung und unserem heutigen Verhältnis zu anderen Religionen und Kulturen unterscheidet. In der hier erforderlichen Kürze könnte jede Äußerung in einer nicht intendierten Weise missdeutet werden, so dass dieses Thema an geeigneterer Stelle dargestellt werden muss (im Zusammenhang mit der im 16. Jahrhundert eingeführten Türkensteuer oder mit der Auswanderung auf den Balkan und der Zerstörung deutscher Siedlungen während der Türkenkriege).

[6] Walter Laqueur hat schon vor über zehn Jahren von den „letzten Tage von Europa“ gesprochen, um den Verlust an weltpolitischem Einfluss, aber auch die kulturellen und gesellschaftlichen Änderungen in Europa zu beschreiben (Walter Laqueur: Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht. Berlin 2008, erweiterte Neuauflage 2016). – Um jeder böswilligen Missdeutung oder Verdrehung vorzubeugen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Feststellung einer Zuwanderung und von deren nicht abschätzbaren Folgen für die gesellschaftliche und politische Ordnung rein deskriptiv zu verstehen sind. Staaten, Kulturen und die Geschichte selbst sind nie statisch, sondern Veränderungen unterworfen, die in manchen Zeiten stärker, in anderen geringer ausfallen. Der eine mag Veränderungen begrüßen, der andere sie kritisch sein, so wie dieser vom Niedergang des Römischen Reiches spricht, jener von dessen Transformation.