Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum DFD (3)
Hinweis: Eine ausführliche kritische Besprechung des DFD, die über diese Beitrage auf dem Blog hinausgeht, habe ich im Druck veröffentlicht: Tobias A. Kemper: Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 65 (2016), S. 177-192 (Teil 1); Teil 2 im Druck.
Der erste Beitrag der kleinen Serie über das „Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands“ (DFD) hat gezeigt, dass dieses Projekt primär synchron orientiert ist. Im zweiten Beitrag wurden die Namenartikel des DFD in ihrem Aufbau und ihrer inhaltlichen Gestaltung vorgestellt; dabei wurde deutlich, dass die inhaltliche Füllung der verschiedenen Gliederungspunkte der Namenartikel in verschiedener Hinsicht problematisch, widersprüchlich oder sachlich verfehlt ist. Im dritten Beitrag geht es nun um das methodische Vorgehen bei der Namendeutung und die inhaltliche Gestaltung der Namenartikel.
Ein wesentliches Anliegen des DFD ist es, gesicherte Etymologien zu den Familiennamen zu erarbeiten und mögliche Bedeutungskonkurrenzen zu gewichten (nach Relevanz, nach regionaler Verteilung …). Leider finden sich in der Projektvorstellung über die hehre Absicht hinaus keine Angaben darüber, wie hier methodisch vorgegangen werden soll, insbesondere nicht, wie sich die Vorgehensweise des DFD von der der vorliegenden Familiennamenwörterbücher unterscheidet.
Aus den bereits vorhandenen Artikeln lässt sich schließen, dass bei der Deutung der Namen von der heutigen Form und Schreibung ausgegangen wird. Unter Berücksichtigung der allgemein bekannten lautgesetzlichen und orthographischen Veränderungen sowie ggf. dialektaler Besonderheiten wird der Name auf ein mittelhochdeutsches Lexem zurückgeführt und auf dieser Grundlage erklärt. Als Beispiel sei der Artikel „Schmidt“ zitiert:
Benennung nach Beruf zu mittelhochdeutsch smit ‘Schmied’. Gemeingermanisch handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für Handwerker, die mit scharfem Werkzeug harte Materialien bearbeiten, wie Metall, aber auch Holz. Später erfolgt die Bedeutungsspezifizierung zum ‘Eisenschmied’ (Letzte Reflexe der früheren, allgemeineren Bedeutung zeigen sich im Familiennamen Holtschmidt 1). Die Häufigkeit dieses Familiennamens und die Vielzahl an verschiedenen Schreibvarianten sind auf die weite Verbreitung und Bedeutung des Schmiedehandwerks zu mittelalterlicher Zeit zurückzuführen.
Die rezente Verbreitung eines Namens wird insofern berücksichtigt, als jeder Namenartikel eine Verbreitungskarte auf der Grundlage der Telekom-Datenbank von 2005 enthält. Eine explizite Erläuterung regionaler Besonderheiten oder besonderer Schreibungen eines Namens erfolgt allerdings – soweit bislang zu erkenenn – nicht. Die Verbreitung des Namens Maier (in dieser Schreibung) fast ausschließlich in Süddeutschland beispielsweise erklärt sich aus der typisch oberdeutschen (bairischen und alemannischen) Schreibung <ai> für den Diphthong /ei/. Im Artikel „Maier“ wird dies aber nicht erklärt, sondern es heißt lapidar:
Benennung nach Beruf, siehe Meyer 1. Es liegt eine Schreibvariante mit <ai> vor.
Nicht anders ist es im Artikel zu der typisch bairischen Namenform Mair:
Benennung nach Beruf, siehe Meyer 1. Es handelt sich um eine lautliche Variante mit Synkope. Gleichzeitig variiert die Schreibung.
Da sich das DFB aber ausdrücklich auch an „interessierte Laien“ richtet (Fahlbusch/Heuser 2012, 210), wäre es wohl eigentlich dessen originäre Aufgabe, kurze (sprach-)historische Erklärungen etwa zu besonderen Schreibweisen eines Namens zu geben und nicht nur wolkig eine „Schreibvariante“ zu erwähnen. Es ist unverständlich, warum Grundwissen aus dem sprachhistorischen Proseminar nicht für eine genauere Erklärung der Namenformen und ihrer Verbreitung genutzt wird.
Neben der Verbreitung im Jahr 2005 soll bei Bedarf Verbreitung eines Namens im Jahr 1942 (auf der Grundlage des Reichstelefonbuchs aus jenem Jahr) berücksichtigt werden (so Fahlbusch/Heuser 2012, 210); ein Artikel,in dem dies auch tatsächlich umgesetzt ist, war bislang nicht zu finden (beim Namen Bartek etwa würde sich dies sehr empfehlen).
Über die Rückführung der rezenten Namenform auf ein mittelhochdeutsches Lexem hinaus erfolgt auch bei selteneren und in der Etymologie uneindeutigen Namen keine genauere Untersuchung zur Entstehung, Motivation und Entwicklung eines Namens. Vereinzelte Belege in manchen Artikeln weisen nur die punktuelle Existenz einzelner Namen nach, sind aber kein Beleg für die Etymologie oder die Motivation eines Namens. Wie auf Nachfrage zu erfahren war, sind „detaillierte genealogische Studien“ zur Entwicklung einzelner Namen ebensowenig geplant wie „historische Ausführungen“ zum Entstehungskontext oder zur Motivation.
Dann allerdings stellt sich hier sehr nachdrücklich die Frage, auf welcher Grundlage dann überhaupt die Namendeutung mit der Zuweisung einer Hauptbedeutung und ggf. der Unterscheidung von Einzel- oder Sonderfällen erfolgt.
Das DFD beansprucht für sich die „Präzisierung bisheriger Deutungen“ und die „Neubewertung bisheriger Deutungen durch Ausschluss unwahrscheinlicher Bedeutungskonkurrenzen oder deren kritische Bewertung“. An diesem Anspruch muss sich das DFD messen lassen. Die Überprüfung und Präzisierung bisheriger Deutungen, eine eventuelle Neudeutung und auch die Gewichtung von Bedeutungskonkurrenzen sind nur möglich auf der Grundlage von Quellenbelegen, die im Idealfall die Entstehung und Motivation eines Namens erkennen lassen. Ohne hinreichende Quellenbelege haben alle Aussagen über die Bedeutung und Motivation eines Namens nur den Status von mehr oder minder plausiblen Vermutungen. Damit ist das DFD dann aber nicht besser als die vorliegenden Familiennamenwörterbücher, ausgenommen vielleicht jene Fälle, in denen die Berücksichtigung der Familiennamengeographie eine bestimmte Deutung nahelegt oder eine bisherige Erklärung widerlegt.
Ein Beispiel dafür ist der Artikel zum Namen Türk, den das DFD ohne jede Begründung oder einen Beleg erklärt als Übernamen
für jemanden, der in der Türkei war, z.B. einen Soldaten oder Gefangenen während der Türkenkriege oder einen Reisenden;
darüber hinaus kämen in Einzelfällen noch folgende Erklärungen in Betracht [dabei können Angaben zum homonymen türkischen Familiennamen Türk hier außer Betracht bleiben]:
- Benennung nach der Herkunft zu Siedlungsnamen wie Türk […]
- Benennung nach Übername zu mittelhochdeutsch turc ‘schwankende Bewegung, Taumel, Sturz’ für jemand mit unsicherem, schwankendem Gang.
- Benennung nach Wohnstätte zum Häusernamen Zum Türken.
- […]
- Benennung nach Rufname, siehe Dirk 1. Es liegt eine lautliche Variante mit T statt D im Anlaut und Rundung i > ü vor.
Einen Beleg bietet das DFD nur für die Benennung nach der Herkunft (übernommen aus Brechenmacher 1957-1960, Bd. 1, 364); insbesondere für die vom DFD behauptete Hauptbedeutung aber gibt es keinen Beleg. Der Hinweis auf die Erwähnung eines Johannes Türk in Hildesheim 1236 hilft hier nicht weiter.
Eine eigene Überprüfung von Vorkommen des Namens Türk in der Frühen Neuzeit hingegen hat keinen einzigen Beleg für Türk als Übernamen eines Reisenden o.ä. erbracht, dafür aber mehrere Fälle für die Ableitung vom Rufnamen Dirk sowie zwei völlig andere Erklärungen. Das (sicher zum jetzigen Zeitpunkt unvollständige und nur ausschnitthaft bekannte) historische Belegmaterial lässt vermuten, dass die vom DFD behauptete Hauptbedeutung falsch ist und allenfalls „in Einzelfällen“ zutrifft, während das, was das DFD nur als Erklärung „in Einzelfällen“ gelten lassen will, die Hauptbedeutung zu sein scheint. Näheres dazu werde ich in einem separaten Artikel mit den entsprechenden Quellennachweisen bringen.
Ebenso verfehlt ist die Behauptung, der Name Mair (in dieser bairischen Schreibung) gehe in Einzelfällen auf den jüdischen Vor- und Familiennamen Meïr bzw. Meier / Meyer zurück. Die unterschiedliche Aussprache von Meïr und Mair macht eine solche Herleitung außerordentlich unwahrscheinlich, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Juden in Deutschland erst im frühen 19. Jahrhundert feste Familiennamen angenommen haben, deren Schreibung sich in aller Regel aufgrund der seit der napoleonischen Zeit geltenden Gesetze nicht mehr geändert hat.
Zusammenfassend muss man das DFD in seiner Konzeption als synchron orientiert, in seiner Namendeutung aber leider als ahistorisch charakterisieren: Die heute in Deutschland vorkommenden Namen werden auf der Grundlage der heutigen Schreibung und Verbreitung gedeutet. Bei Namen wie Müller oder Schmidt ist das natürlich unproblematisch; bei selteneren oder weniger eindeutigen Namen aber müssten die Deutungsvorschläge des DFD erst noch auf ihre historische Plausibilität überprüft und anhand historischer Belege verifiziert oder widerlegt werden. Ohne eine solche Überprüfung bleiben die Deutungsvorschläge nur Vermutungen und unterscheidet sich das DFD entgegen seinem eigenen Anspruch nicht wesentlich von den bereits vorliegenden Familiennamenwörterbüchern.
Angesichts der Tatsache, dass die Arbeit am Langzeitvorhaben des DFD gerade erst begonnen hat, bleiben die Hoffnung und der Wunsch, dass die Konzeption und inhaltliche Füllung der Artikel ebenso wie das methodische Vorgehen noch korrigiert werden, damit das DFD seinem eigenen Anspruch gerecht wird und den Erfolg hat, den es verdient.
Zitierte Literatur:
- Brechenmacher, Josef Karlmann: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Familiennamen. 2 Bde., 2., von Grund auf neubearb. Aufl. Limburg 1957-1963.
-
Fahlbusch, Fabian; Heuser, Rita Heuser: Das „Digitale Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. Möglichkeiten und Ziele am Beispiel regionaler Namen. In: Familiennamen zwischen Maas und Rhein.Hrsg. von Peter Gilles, Cristian Kollmann und Claire Muller. Frankfurt 2014, S. 209-226.
Lese immer mit grossem Interesse Deine Beitraege. Wann schreibst Du den separaten Artikel zum Namen Tür(c)k? Meine Vorfahren stammen aus dem Raum Bayreuth-Kulmbach-Bamberg, wo der Name bereits um 1500 in schriftlichen Quellen genannt wird und wohl kaum von Dirk abzuleiten ist. (Hans Türck 1512 St. Gangolf Bamberg.)
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