Falsches und Fragwürdiges im DFD (1)
Nach der ausführlichen kritischen Auseinandersetzung mit dem „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“ hier (Teil 1, 2 und 3) und in der Zeitschrift „Genealogie“ [Tobias A. Kemper: Familiennamen ohne Geschichte? Anmerkungen zum „Digitalen Familiennamenwörterbuch Deutschlands“. 2 Teile. In: Genealogie. Deutsche Zeitschrift für Familienkunde 65 (2016)] soll hier nun in lockerer Folge Falsches und Fragwürdiges aus den Namenartikeln des DFD kommentiert werden.
Türk, Türck etc.: Wie in der „Genealogie“ ausführlich dargelegt, ist die im DFD angebotene Hauptbedeutung einigermaßen abwegig:
Benennung nach Übername zu mittelhochdeutsch Turc, Türke, Turke ‘Türke’ z.B. für einen Reisenden, einen Soldaten oder Gefangenen während der Türkenkriege, einen Angehörigen des osmanischen Heeres.
Während des Höhepunktes der Türkenkriege im 16. und 17. Jahrhundert hatten die allermeisten Menschen in Mitteleuropa schon einen Familiennamen – und genau in dieser Zeit sind Reisen ins Osmanische Reich, die einen Übernamen zur Folge gehabt hätten, einigermaßen unwahrscheinlich.Wer hätte sich schon nach dem Hauptfeind der Christenheit benennen lassen?
Vollkommen absurd ist die Herleitung von
mittelhochdeutsch turc ‘schwankende Bewegung, Taumel, Sturz’ für jemand mit unsicherem, schwankendem Gang.
Es ist nämlich fraglich, ob es das Wort mhd. turc jemals außerhalb der Deutschordenschronik des Nikolaus von Jeroschin gegeben hat, der das Wort auf der Suche nach einem Reimwort offenbar spontan erfunden hat.
Zwei andere – und wie es scheint, bessere – Erklärungen fehlen im DFD: Zum einen findet sich Türk(e) als Nachname von getauften Türken (sog. „Türkentaufe“ der „Beutetürken„). Zum anderen leitet sich der Name Türk zumindest am Niederrhein nach der Position eines Hofes am Dorftor, am Türken (Türchen) ab (Details siehe den Beitrag in der „Genealogie“).
Bauer(n)feind: Das DFD gibt als einzige Deutung an:
Benennung nach Übername zu mittelhochdeutsch būr, būre ‘Bauer’ und mittelhochdeutsch vīant, vīent, vīnt ‘Feind’ für jemanden, der Bauern feindlich gesinnt ist, z.B. für einen Raubritter oder Söldner.
Mit der Erwähnung von „Raubrittern“ erweist sich das DFD einmal mehr als historisch nicht auf der Höhe und hängt wohl einem leicht veralteten Ritterbild (böse Raubritter, schöne Burgfräulein, arme Bauern, gefährliche Drachen) an. Mit „Raubrittern“ ist wohl der Kleinadel gemeint – der aber verfügte schon im hohen Mittelalter, vor einem Großteil der Bevölkerung, über Familiennamen. Kein Adeliger wäre auf die Idee gekommen, seinen mit dem Wappen verbundenen und von seinem Besitz, seiner Burg, seinem adeligen Haus abgeleiteten Namen gegen den Namen Bauernfeind einzutauschen! – Im ganzen 17. Jahrhundert findet sich der Name Bauernfeind in der Pfarrei Stecken (Iglauer Sprachinsel) als Name von Bauern. Statt zu phantasieren wäre es vielleicht besser festzustellen, dass Bauernfeind ein Übername ist, dessen Motivation sich aber von heute nicht erschließen lässt, wenn es keine historischen Belege gibt.
Kaiser und König: Kaiser soll ein Übername sein „für eine stolze oder angeberische Person“, König hingegen „für jemanden, der durch besondere Leistungen (Schützenkönig) oder sein Verhalten (vornehm, königlich, herrisch) aus seiner Umgebung hervorragt“. Wieso nun Kaiser auf negative Eigenschaften oder Verhaltensweisen, König hingegen auf positive zurückgehen soll, das erschließt sich nicht – und dabei stammen beide Artikel sogar von derselben Verfasserin. Wieder gilt: Ohne historische Belege muss man raten …
Einigermaßen spaßig ist auch im Artikel Markgraf die Behauptung, dies sei ein Name für jemanden mit „Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die an einen Markgrafen erinnern“. Was bitte sind Eigenschaften oder Verhaltensweisen eines Markgrafen – gerne im Unterschied zu einem Pfalzgrafen oder Gografen?
Die Hauptbedeutung von Markgraf, Margraff etc. soll allerdings sein:
Benennung nach Beruf zu mittelhochdeutsch marcgrāve, mittelniederdeutsch markgrēve ‘königlicher Richter und Verwalter eines Grenzlandes, Markgraf’. Es kann sich um den Richter oder Verwalter einer Mark bzw. eines Grenzgebietes handeln sowie um jemanden, der Beziehungen zu einem Markgraf pflegt (indem er z.B. in dessen Dienstverhältnis steht).
Wie die dem Artikel Margraff beigegebene Karte zeigt, kommt dieser Name gehäuft im äußersten Westen Deutschlands vor, im Raum Aachen und in der Eifel. Ein Blick über die Grenze hätte gezeigt, dass der Name auch im deutschsprachigen Belgien verbreitet ist. Alle westdeutschen Namensträger Margraff gehen zurück auf Hubert Margraff, im Jahr 1600 Student an der Kölner Universität (Hub. Margravius, Vitensis), seit 1611 in St. Vith als Gerichtsschreiber und Notar nachweisbar (Karl Gommes: Ein Feuerstättenverzeichnis der Stadt St. Vith aus dem Jahre 1611. In: Zwischen Venn und Schneifel 20 (1984), 146-148) und dort zwischen 1626 und 1631 verstorben. Vermutlich war Hubert Margraff ein Sohn des 1604 als Schöffen des Hofes Amel genannten Nicolaus Margraff. Warum ist das wichtig? Weil die Markgrafschaften allesamt im Osten und Südosten des mittelalterlichen Reiches lagen, nicht im äußersten Westen – und damit hat sich die vom DFD gebotene Deutung zumindest des Namens Margraff aus St. Vith erledigt. Den Ämtern der ersten nachgewiesenen Namensträger nach zu urteilen bezieht sich der Name wohl auf einen lokalen Amtsträger (-graff), wobei die genaue Bedeutung des Erstglieds Mar- nach zu ermitteln wäre (evtl. Markt-?).
Fragwürdig sind auch die Ausführungen zum Namen Ritter:
1. Benennung nach Beruf zu mittelhochdeutsch rītӕre, rīter, riter, ritter ‘Reiter, Streiter zu Pferde, Kämpfer, Ritter’. Es handelt sich um einen Berufsnamen für einen berittenen Kämpfer, Krieger, also jemanden, der dem Stand der Ritter angehörte.
2. Benennung nach Übername zu mittelhochdeutsch rītӕre, rīter, riter, ritter ‘Reiter, Streiter zu Pferde, Kämpfer, Ritter’ für jemanden, der in einem Dienstverhältnis zu einem Ritter stand oder das uneheliche Kind eines Ritters war.
Jemand, „der dem Stand der Ritter angehörte“ – gemeint also: ein Adeliger -, der nannte sich nach seinem adeligen Haus, seinem Besitz, seiner Burg oder hatte in seltenen Fällen einen anders motivierten Übernamen (Krümmel von Eynatten, Ketteler, Wrede) – aber nutzte sicherlich nicht Ritter als Familienname. Dass ein uneheliches Kind Ritter genannt worden wäre, wäre erst noch zu belegen (ansonsten haben wilde Spekulationen in einem Nachschlagewerk mit wissenschaftlichem Anspruch nichts zu suchen). Auch die Annahme, Ritter bezeichne jemanden in einem Dienstverhältnis zu einem Ritter. ist ohne Beleg wenig überzeugend – zumal die Zeit der Ritter einigermaßen vorbei war, als die Mehrzahl der heutigen Familiennamen entstand. Eher wird man an die Grundbedeutung Reiter denken müssen, ohne dass sich im Einzelfall die Motivation für die Namengebung erschließen lassen wird.
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